Erinnerungen eines Tiroler Landschulmeisters
(...langjähriger Landesvorsitzender der Tiroler Musikvolksschulen)
Man hat mich gebeten, zwanzig Jahre Musikvolksschule aus Tiroler Sicht zu beurteilen, zusammenzufassen und zu kommentieren. Diesem Wunsche komme ich gerne nach, zumal diese zwanzig MVS – Jahre in meinem schulischen und auch privaten Leben eine große und positive Rolle gespielt haben.
Als Lehrer in einer kleinen zweiklassigen Volksschule im Tiroler Oberland war mir die Musikerziehung schon immer ein wichtiges Anliegen. Irgendwo muss schon immer etwas in mir geschlummert haben, was man später in Lehrplankonferenzen und didaktischen Anleitungen in geschliffene Worte und Formulierungen fasste. So von „Musik erfasst das gesamte Wesen des Kindes“ – „fächerübergreifend“ – „soziales Engagement“ – „Förderung der Lernfähigkeit“ – „Freude am gemeinsamen oder auch einzelnen Tun“ etc. etc. Das waren Grundsätze, nach denen viele junge Lehrer und Lehrerinnen versuchten zu arbeiten und damit Freude und Leben in den Unterricht zu bringen – zumindest jene mit musikalischen Interessen.
Das Problem der Umsetzung dieser Interessen bestand in der „Einsamkeit des Volksschullehrers“, wie ich es bezeichnen möchte. Man war – und ist es wohl auch noch heute - sehr in seiner eigenen Klassenarbeit isoliert, und der Blick über den „Nachbarzaun“ war nicht üblich, eigentlich sogar eher verpönt – so nach dem Motto: Da könnte ja jemand kontrollieren und dann kritisieren. Zudem erfolgte die Ausbildung im Fache Musikerziehung nach althergebrachten, teilweise sogar antiquierten Methoden. Mit Stimmbildung, gemeinsamem – vor allem auch freiem – Musizieren, Kindertänzen oder ähnlichen Möglichkeiten des lustbetonten Tun’s habe ich vieles erst im aktiven Lehrerleben näher kennengelernt. Auch die Fortbildung auf dem Sektor Musikerziehung war karg – alle zwei, drei Jahre vielleicht ein musikalisches Thema – mehr war dafür nicht vorgesehen. Und wenn es im ME-Unterricht einmal „klumperte und pumperte“, zu laut geklatscht, getrommelt, gejubelt oder sogar gebrüllt wurde, lag das keineswegs im Sinne der umliegenden Lehrpersonen oder gar des Direktors – es störte und nervte einfach.
Da hat sich Gott sei Dank vieles zum Positiven gewandelt.
Als eigenverantwortlicher Direktor meiner Minivolksschule hatte ich es da viel einfacher – ich konnte nach Lust und Laune schalten und walten – natürlich im Rahmen des Lehrplanes. Und so trommelten und sangen und flöteten und tanzten wir mit fröhlichem Herzen, beteiligten uns am Jugendsingen und an Gestaltungen von Gottesdiensten, und veranstalteten Muttertags – und Adventsingen.
Das konnte nicht verborgen bleiben und so schickte mich unser FI für Musik Siegfried Singer zur Vorbereitung und dann Gründung der Arbeitsgemeinschaft für Musikvolksschulen (um nicht den ganzen komplizierten Titel zu gebrauchen) in die Steiermark.
Diese erfolgte nach heißen und intensiven Diskussionen – schließlich mussten die Auffassungen von neun Bundesländern unter einen Hut gebracht werden – im Jahre 1998 am Retzhof in Leibnitz. Meine Aufgabe war die Vertretung des Landes Tirol und dann auch das Amt des Stellvertreters des Vorsitzenden Reinhold Haring.
Der Oberinntaler Landschulmeister hatte noch immer keine Ahnung, was da auf ihn zukam!
Mein persönliches Schlüsselerlebnis war das erste Seminar der MVS Österreichs in Söchau – unvergesslich und mein weiteres Lehrerleben stark prägend. Da gab es ein „Kennenlernspiel“ mit dem Namen „BINGO“ – mir völlig unbekannt. Und da umarmte mich beim „O“ der oder die zufällig gegenüberstehende Person spontan, sagte mir ihren Namen und fragte nach dem meinen – und das einem gestandenen Oberinntaler, der einem anderen die Hand ja erst gibt, wenn er ihn näher kennt.
Schock – Überraschung – Staunen – Begreifen! Da geht jemand auf Dich zu – positiv, nicht misstrauisch – hängt sich bei dir ein, bummelt mit dir durch den Saal, erzählt von sich und fragt nach dir!
- Und reicht dich beim nächsten Bingo an jemand anderen weiter – und du öffnest dich den andern und sie sich dir – und plötzlich kennst du Menschen, die alle das gleiche wollen wie du – Singen – Musizieren – Hören – Tanzen und Gestalten.
Und schließlich wundert es dich überhaupt nicht mehr, wenn deine Gruppe beim Gestalten von Strawinskys Petruschka dich als Primaballerina aussucht – ausgerechnet dich, den Antitänzer mit Bart und Bauchansatz. Und du lachst mit – und hast am Schluss auch noch Spaß daran.
Da habe ich begriffen, was „Musikvolksschule“ ist, und welcher Geist über dieser musikalischen Großfamilie schwebt: Freundschaft, gegenseitiges Verstehen, Toleranz und Vertrauen. Und das alles im Rahmen einer höchst modernen, alljährlichen Fortbildung – durch beste Referenten – stets aufgelockert durch ein liebevoll vorbereitetes und abwechslungsreiches Rahmenprogramm. Und daraus entwickelten sich Diskussionen, Lern- und Erfahrungsprozesse und viele Freundschaften – und manche halten bis heute.
Dass es uns in Tirol gelungen ist, aus drei Standorten knapp dreißig zu machen, sei nur der Vollständigkeit halber erwähnt.
– Und als man uns von Amts wegen eine Musikstunde abzwacken wollte, hat das der damalige Landesrat für die Schulen Günther Platter nicht zur Kenntnis genommen – dafür sei gedankt, denn so haben wir noch heute unser Kontingent in Tirol.
– Und eine eigene zweitägige landesweite Fortbildung gibt’s auch schon seit vielen Jahren – früher an der VS Wildermieming, heute bei meinem Nachfolger in Ellmau am Wilden Kaiser.
Der Höhepunkt aus meiner Sicht als Landesvertreter für Tirol waren aber sicher die zwei MVS-Tagungen 1990 am Mieminger Plateau in Obsteig und 1999 in Fulpmes im Stubaital – erstmals mit einem von uns gestalteten Gottesdienst mit dem „Lehrerbischof“ Reinhold Stecher. Bei herrlichem Herbstwetter konnte ich meinen MVS – KollegInnen vom Gipfel des Hafelekar aus mein „Landl Tirol“ präsentieren – und als mein „Großer Vorsitzender“ Reinhold Haring in der Hofkirche am Grabmal Kaiser Maximilians das Lied „Innsbruck ich muss dich lassen“ von Heinrich Isaac dirigierte, da wusste ich, jetzt hat sich der Kreis geschlossen. Die Arbeit ist getan, du kannst dein Amt weitergeben und dich zurückziehen.
Dass es mir gelungen ist, eine starke und engagierte „Tiroler MVS-Truppe“ ins Leben zu rufen und zu betreuen, macht mich froh und auch ein bisschen stolz, und ich wünsche meinem Nachfolger Hermann Ortner weiterhin viel Engagement und Freude mit diesem „musikalischen Haufen“.
Mein Gruß gehört aber auch dem Vorstand der ARGE für die Musikvolkschulen Österreichs vom Vorsitzenden und Initiator Reinhold Haring über den Schriftführer Ferry Lachinger bis zu den Landesvertretern der einzelnen Bundesländer. Wir haben zwanzig Jahre gut zusammengearbeitet zum Wohle der uns anvertrauten Kinder und auch zum Wohle der Musikerziehung. In diesen Jahren sind wir von Kollegen zu Freunden geworden – dafür danke ich Euch von Herzen!
Das war und ist für mich „Musikvolksschule“ – und ich bin froh, dass es sie gibt, ich ihr begegnet bin und sie auch ein bisschen mitgestalten durfte.
Euer Klaus Trenkwalder
Wildermieming